Physikum: doch nicht der Schrecken der Vorklinik?

 

Moin ihr lieben, 

So ganz realisieren kann ich es immer noch nicht. Ich habe das Physikum im September 2024 bestanden! Ich habe das 1. Staatsexamen erfolgreich gemeistert! 1. Staatsexamen. Das klingt offizieller als nur Physikum. Über 70 Tage Lernen liegen hinter mir. Ein ganzer Sommer. Und jetzt möchte ich euch rückblickend erzählen, wie es mir in diesen Tagen ergangen ist.

In den Semesterferien im März 2024 habe ich bereits angefangen, mir Gedanken zu machen, wie ich eigentlich lernen will. Vorher war das Physikum etwas Gruseliges, Riesiges und Unnahbares, das noch weit in der Ferne lag. Doch dann war das 3. Semester zu Ende und ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, dass ich in weniger als einem halben Jahr die bisher größte Prüfung meines Lebens haben würde. Also begann ich, mich durch sämtliche Foren zu lesen, schaute mir Videos an und versuchte irgendwie, den Masterplan zu entwickeln. Am Ende entschied ich mich, wie 98 % meiner Freunde, für den 60-Tage-Amboss-Lernplan. Von Kommilitonen aus höheren Semestern hörten wir, dass man mit diesem Plan gut bestehen sollte, und das gab mir Sicherheit.

Mit dem Lernplan fing ich direkt am nächsten Tag nach der Biochemieprüfung Mitte Juni an. Zwar stand noch eine weitere Prüfung zur Medizinischen Psychologie und Soziologie (MPS) an, aber ich dachte mir, dass ich MPS einfach nebenbei lernen würde. So hatte ich dann insgesamt 13 freie Tage, die ich mir freihalten könnte. Ich würde es auf jeden Fall jedem empfehlen, genug freie Tage einzuplanen! Am besten ist wirklich ein freier Tag pro Woche. Und mit "frei" meine ich wirklich frei. Ich muss zugeben, dass gegen Ende des Lernplans die freien Tage eher zu halben freien Tagen wurden, aber Lernpausen sind genauso wichtig wie die Lerntage an sich. Viele meiner Kommilitonen tauschten die MPS-Lerntage, die sich bei Amboss am Schluss befinden, vor die MPS-Prüfung, doch ich fühlte mich relativ sicher in MPS und wollte mir die "entspannten" MPS-Tage lieber für meinen Urlaub mit meiner Familie aufheben.

Die Lerntage 

Am ersten Tag war ich ziemlich euphorisch und motiviert. Ich teilte mir den Lerntag so ein, dass ich gegen 8 Uhr mit den Kapiteln startete, diese dann bestenfalls bis mittags durcharbeitete und nachmittags mit dem Kreuzen anfing. Manchmal klappte dieser Plan mehr oder weniger gut. Es gab Lerntage, die waren einfach ziemlich lang. Der gesamte anatomische Aufbau vom Herz, mit der Herzphysik und -physiologie, hatte es einfach in sich. Genauso wie den Citratzyklus, die Atmungskette und die Kohlenhydrate an einem Tag zu lernen, dauerte dann mindestens 8 Stunden. Dafür gab es andere Lerntage, die ich in gut 4-6 Stunden schaffte. Da ich glücklicherweise das Talent des Schnelllesens besitze, habe ich ohne Ausnahme alle Lerntage an dem vorgesehenen Tag geschafft, doch ich habe auch von vielen gehört, dass sie einen Lernplan an mehreren Tagen machen mussten und dafür ihre freien Tage opferten. In den ersten Wochen des Lernplans war ich etwas mehr gestresst, da wir in dieser Zeit immer noch Seminare in der Uni hatten. Das bedeutete dann immer, den Lernplan zu unterbrechen, zur Uni zu radeln, die 2-3 Stunden über sich ergehen zu lassen und dann weiterzulernen. Die Seminare sollten uns auf die mündliche Prüfung vorbereiten, aber mir halfen sie nicht wirklich, da ich die Themen häufig noch nicht gelernt hatte und mich die Aussicht nur stresste, was ich alles noch nicht wusste. Die Seminare nahmen mir dann auch meine Freizeit, die ich sonst nach einem absolvierten Lerntag gehabt hätte. Daher begrüßte ich es sehr, als endlich das Semester offiziell vorbei war und ich mich komplett auf das Physikum konzentrieren konnte. Von da an hatte ich auch immer genug Freizeit. Meistens war ich ab 16-17 Uhr mit dem Lernen fertig und konnte mich mit Freunden treffen, an den Strand fahren und entspannen.

Zwei Wochen Nordsee 

Anfangs hatte ich geplant, nicht mit meiner Familie zwei Wochen an die Nordsee zu fahren. Wir würden 4 Tage vor dem ersten schriftlichen Prüfungstermin zurückkommen, und ich wusste nicht, wie produktiv ich zwischen Strandkörben und Urlaubsatmosphäre sein würde. Aber dann entschieden sich zwei meiner Freunde auch, kurz vorher mit ihrer Familie in den Urlaub zu fahren, und ich überlegte, dass es mir mental nicht guttun würde, zwei Wochen vor der Prüfung die ganze Zeit allein zu Hause zu sein, während meine Familie Zeit an meinem Lieblingsort verbringt. Und ich kann nur sagen, dass es die beste Entscheidung überhaupt war, vor dem Physikum nochmal in den Urlaub zu fahren! Wenn ihr die Chance habt, dann macht es auf jeden Fall!!! Nach 4 Tagen an der Nordsee hatte ich dann erfolgreich alle 50 Lerntage absolviert und alle Kapitel durchgearbeitet, bis auf die Generalproben. Dann stand nur noch Wiederholen, Kreuzen, Kreuzen und Kreuzen an. Und das kann man auch super im Strandkorb tun. Damit ich auch mit meiner Familie unsere Urlaubstraditionen beibehalten konnte, wie die Fahrradtour, Pommesessen beim Lieblingskiosk und Wattwanderungen, stand ich um 6 Uhr morgens auf, fuhr an den Strand und nach einer morgendlichen Abkühlung in der Nordsee und einem Frühstück lernte ich vormittags im Strandkorb. Ich liebte die Zeit morgens ganz allein am Strand, wenn die Sonne alles in ein goldgelbes Licht tauchte und nur das Vogelzwitschern, Möwenkreischen und Wellenrauschen mich umhüllten. So ließ sich auch das Lernen der Unterarmmuskulatur oder des Nukleotidstoffwechsels gut aushalten. Am Nachmittag hatte ich dann überwiegend Zeit zum Eisessen, Baden und Entspannen. Allerdings war ich schon sehr neidisch, wenn alle am Strand in ihren Büchern lasen, während ich auf meinem iPad kreuzte. Aber es war deutlich besser, als in der stickigen, warmen Bibliothek zu sitzen.

Die Tage vor der Prüfung 

Durch meinen Urlaub verging die Zeit bis zur schriftlichen Prüfung wie im Flug. Am Abreisetag schaffte ich kaum etwas zu lernen und hatte dementsprechend dann doch etwas Panik am Sonntag, den ich dann komplett mit Lernen und Wiederholen verbrachte. Die Generalproben (die letzten 4 kompletten Physika, deren Fragen noch nicht im Lernplan vorkamen) hatte ich bereits in den letzten Tagen des Urlaubs gekreuzt, und die Ergebnisse hatten mich beruhigt, da ich beide Tage gut bestanden hätte. Der Montag zog sich dann wie Kaugummi in die Länge, den ich vor allem mit dem Kreuzen der Fächer des ersten Prüfungstages verbrachte, aber irgendwann war es dann doch Abend.




Die Prüfungstage

Zum Glück konnte ich mit meiner Freundin zusammen zur Prüfung fahren, sodass ich keine Angst hatte, zu spät zu kommen oder den Raum nicht zu finden. Ich hatte meine Einladung, Ausweis, Wasserflasche, Traubenzucker und Nüsse dabei. Ganz wichtig ist ein Bleistift, Radiergummi und Anspitzer, da man nur mit Bleistift schreiben darf. Es beruhigte mich, dass ich zwischen zwei guten Freunden saß, mit denen ich mich zusammen für die mündliche Prüfung angemeldet hatte. Und dann ging es auch los. Am ersten Tag kamen Physik, Chemie, Physiologie und Biochemie dran. Nicht gerade meine stärksten Fächer. In der Vorklinik fiel mir Physiologie sehr schwer, doch irgnwie freundetet ich mich dann im Laufe des Lernplans damit an und in den Generalproben war Physiologie mit mein bestes Fach. Physik, ja, was soll ich dazu sagen? ich habe Physik nach der 9. Klasse abgegeben und kann die Aufgaben lösen, wenn sie mir zwei Zahlen geben und ich sie in die Formel einsetze. Alles darüber hinaus wird kritisch. In den Generalproben kam ich immer sehr gut mit der Zeit klar. ich ließ mir daher Zeit zum rechnen. Doch dann stellte ich eine Stunde vor Abgabe fest, dass ich noch 60 Fragen kreuzen musste! Bedeutet, 60 Sekunden pro Aufgabe. In mir brach Nervosität aus. ich bemühte mich zu beeilen, überflog Fragen, kreuzte schneller. Das spiegelte sich dann auch hinterher in meinem Ergebnis wieder: die meisten falsch gekreuzten hatte ich gegen Ende. Vielleicht lag es am Zeitmangel, vielleicht auch an der abnehmenden Konzentrazion nach 4 Stunden oder eine Mischung aus beidem. Knapp 5 min vor Abgabe war ich fertig. Und damit meine ich nicht nur fertig mit Kreuzen, sondern auch mental. Der erste Prüfungstag war anstrengender als jeder einzelne Lerntag für mich. Ich ging mit einem gemischten Gefühl aus der Prüfung. Nachmittags fiel es mir sehr schwer, mich nochmal aufzuraffen, die Themen für den zweiten Prüfungstag zu wiederholen. Ein Glück, dass Anatomie, Historiker, Bio und zur Belohnung am Ende MPS dran kamen. Ich schwankte an dem Nachmittag auch, ob ich meine Ergebnisse bei medilearn eingeben sollte, um schonmal eine vorzeitige Hochrechnung zu erhalten. Meine Neugier siegte und ich hoffte, mit einem entspannteren Gefühl in den morgigen Tag zu starten. Dann kam erstmal der Schock. Weil ich in mehreren Zeilen bei der Eingabe verrutscht war, zeigte mir die Hochrechnung an, dass ich den ersten Tag nicht bestanden hatte! Ich hatte unter 60 % und war den Tränen nahe. Als ich meinen Fehler bemerkte, die Riesenerleichterung. Ich hatte den ersten Tag mit gutem Puffer bestanden und zwar auch mit dem Ergebnis, das ich bereits in den Generalproben auch schon hatte. Der zweite Tag verlief deutlich entspannter. Ich hatte genügend Zeit, alle 160 Fragen nochmal genau durchzugehen. Vielleicht hätte ich genau das nicht tun sollen. Bekanntlich verschlimmbessert man ja nur und der erste Gedanke ist meist der richtige. So war es auch bei mir. Aber egal, den zweiten Tag bestand ich auch, trotz vieler im Nachhinein ärgerlicher Fehler. Aber bestanden ist bestanden. 

Nach der schriftlichen Prüfung und mein Fazit 

So richtig Feierstimmung wollte trotz der 8 Stunden absolvierten Prüfung dann doch noch nicht aufkommen. In genau 14 Tagen standen die mündlichen Prüfungen an und erst danach hatten wir es offiziell geschafft. Zu der mündlichen Prüfung werde ich einen eigenen Beitrag schreiben, da das hier sonst den Rahmen sprengen würde. Insgesamt kann ich sagen, dass mich die Lernzeit für das schriftliche Physikum positiv überraschte. Ich hatte so viele Horrorberichte gelesen, wo Leute erzählten, dass sie nach dem Physikum mental fertig waren, abgemagert und sich erst ihr Leben wieder aufbauen musste. Ich hatte mir es auch ziemlich gruselig vorgestellt: einen ganzen Sommer lang nicht baden, keine Freunde sehen und nur im dunklen Zimmer sitzen und von 6 Uhr moegsn bis 11 Uhr abends zu kreuzen und am Ende mit kaputten Augen, schmerzenden Rücken und blass wie ein Vampir hervorzukommen. Aber bei mir war es ein Glück nicht so. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich einen Sommer verloren hatte. Ich habe fast jeden Tag etwas schönes mit Freunden unternommen, war viel im Meer baden und hatte einen wunderschönen Urlaub. Natürlich wäre es ohne lernen noch schöner gewesen und ich hatte kaum freie Vormittage, da ich dort immer gelernt habe. Und natürlich verlief nicht jeder Tag so positiv und motivierend. Manche Lerntage zogen sich ewig in die Länge und die Kapitel wollten kein Ende nehmen. Manchmal war das Kreuzen deprimierend, weil ich so vieles vergessen hatte, was ich gestern erst gelernt habe und Sachen nicht erinnerte, die ich eigentlich auch noch wissen sollte... Es gab Tage, an denen es mir schwer fiel, mich an den Schreibtisch zu setzen und Tage an denen ich einfach nicht mehr kreuzen wollte, und Tage an denen ich zweifelte, ob ich es schaffen würde. Aber diese Tage gingen vorüber und es kamen Tage, an denen ich die Themen spannend fand und mich freute, weil ich das Thema neldich verstanden habe (vor allem Neuroanatomie und viele Themen in Physiologie!!!) und ich stolz auf mich war, was ich hier für eine riesige Stoffmenge bewältigte. Ja, die Menge an Stoff, die man behalten soll, ist gigantisch. Aber man muss sich dabei immer vor Augen führen, dass man nicht alle Details sich merken kann! Häufig war es bei mir so, dass ich ein "Gefühl" für die richtige Antwort entwickelte. Beim schriftlichen Physikum geht es nicht darum alle Details perfekt wiedergeben zu können, sondern es geht ums Wiedererkennen der richtigen Lösung. Außerdem fällt schnell auf, dass das IMPP einige Lieblingsthemen hat, die man beherrschen und andere Themen dagegen nur grob Lernern sollte. Ganz nach Kosten-Nutzen Prinzip ;). Daher kann ich nur allen zustimmen: Kreuzen, kreuzen, kreuzen ist der Schlüssel zum Bestehen zum Physikum. Lieber auf das Lesen von Kapiteln verzichten, wenn die Zeit knapp ist und Zeit ins Kreuzen investieren. Selbst Physik und Chemie sind dadurch machbar :) 

Glaubt an Euch und vertraut auf eure Fähigkeiten! Niemand kann sich alle Details merken und das Physikum ist nicht nur eine Wissens- sondern auch eine Prüfung der Durchhaltefähikeit, der Eigenmotivation und Stärke. Gönnt euch Pausen und wenn ein Lerntag nicht gut klappt, ist das überhaupt nicht schlimm. jeder hat seine Stärken in einem anderen Fach! 

Ich hoffe ich konnte allen, die das Physikum vor sich haben, etwas Angst und Anspannung nehmen. Viel erfolg! Und nicht vergessen, das Physikum ist nicht alles im Leben. Es ist nur eine Prüfung, die euch von der lang ersehnten Klinik trennt ;) 

Eure Flora 




Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Geheimtipps für Prag

Das erste Mal im Präpsaal